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Update Reformation 2.0

Wir gedenken in diesem Jahr an 500 Jahre Reformation. Das heißt nicht, dass wir 500 Jahre ununterbrochen Reformation hatten, sondern dass damals eine Reformation begann, die einige Jahre dauerte und die gesellschaftlichen, sozialen und kirchlichen Systeme im mittelalterlichen Europa radikal erschütterte. Es gab große und tiefgreifende Umwälzungen und Veränderungen, in deren Auswirkungen wir noch heute leben.  Europa wurde grundlegend neu gestaltet. Nicht mehr hatte die katholische Kirche allein und die unterdrückenden Fürsten die Macht, sondern es entstanden neue Machtverteilungen und neue Strukturen, in denen sich andere Kirchen und ein Bürgertum entwickeln konnten. Auch die Bibelübersetzung Luthers trug zur Reform der damaligen Gesellschaft bei. Die deutsche Sprache entstand als vereinendes Band und der Buchdruck öffnete neue, großartige Perspektiven. Jeder konnte jetzt das Wort Gottes selbst lesen,  Eigenverantwortung übernehmen und allein aus Glauben vor Gott gerecht werden.

Aus meiner Sicht hatte aber die Reformation  den größten Effekt in Bezug auf die gesellschaftlichen Umwälzungen der Zeit. Sie schuf die Bedingungen für eine gerechtere Gesellschaft und das war sehr gut. Niemand hatte anfangs gedacht, dass dadurch auch neue Kriege zwischen Bauern und Adel und zwischen den Konfessionen beginnen konnten.  Ebenso wusste man nicht, dass die „ Aufklärung“ kommen würde, um das Denken der Menschen grundlegend zu verändern.

So durchschlagend die Reformation im 16. Jahrhundert auch war, sie konnte jedoch  nicht  den Leib Jesu, die  Gemeinde Gottes reformieren.  Die Geschichte zeigt, dass das alte postkonstantinische Kirchensystem in abgewandelter Form die Erschütterungen der ersten tiefgreifenden Reformation  überdauerte und im Laufe von 500 Jahren immer wieder neue Varianten der alten Machtstruktur zwischen Klerus und Laien in menschlichen Organisationen schuf.

Aus verschiedenen Richtungen kommt nun am Anfang des 21.Jhdt. die Kunde von einem neuen Frühling für die Gemeinde Jesu. Ich meine, es ist eine ernstzunehmende Botschaft von einer „Neuen Reformation“, die im Fokus die Wiederherstellung der Gemeinde Jesu beinhaltet, wie sie im ersten Jahrhundert unter der Wirkung des Heiligen Geistes entstanden war. Manche sagen dazu  „back to the roots“. Es entsteht die Frage: Ist das notwendig? Ist das möglich? Wie kann das geschehen?

Wanderschaft statt Mutation

Weit verbreitet unter Christen ist die Meinung, die ich nicht teile, dass sich die Gemeinde in den vergangenen zwei Jahrtausenden stetig weiterentwickelt hat und es keinen Sinn macht, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Ich meine, an Pfingsten  brachte Gott  durch den Heiligen Geist die Gemeinde, den Leib Jesu als lebendigen Organismus zur Geburt. Zwar war dieser damals wie ein „Neugeborenes,  das noch laufen, denken und sprechen  lernen musste“, doch war an dem neuen Leben schon alles dran, was zum Leben und zur Entfaltung notwendig ist,  Gliedmaßen, Organe, Blut- und Nervenbahnen.  Die Gemeinde war ein lebendiger, geistlicher Organismus, der schon zu Beginn voll funktionsfähig war. Doch was geschah? Neben und um diesen Organismus herum, bauten die Menschen im Laufe von fast 2000 Jahren immer wieder neue Organisationen, Häuser und Kirchen, die sich voneinander unterscheiden und nicht mehr durch den Geist lebten. Schleichend  traten nach und nach anstelle des echten Leibes Jesu  viele Kirchenorganisationen und steinerne Gebäude. Fast unbemerkt tauschten die Christen den lebendigen Organismus der Gemeinde Jesu immer wieder mit den starren und hierarchischen  Strukturen der menschlichen Organisation.

Auf der Pilgerschaft durch die Zeit kam die Gemeinde an vielen Stationen des Lebens vorbei, wo sie immer stecken blieb. Ab dem 4. Jhdt. verband sie sich mit der staatlichen Organisation des römischen Reiches und der Nachfolgereiche und übernahm deren Struktur,  Rechtsprechung  und Philosophie. Aus dem Totenschlaf heraus ließ Gott immer wieder wahre erweckliche Gemeindebewegungen erstehen, bis schließlich im 16. Jahrhundert die Reformation durchbrach. Der umfassende Neuanfang erstarrte jedoch nach wenigen Jahrzehnten. Das alte Kirchensystem, setzte sich in veränderter Form wieder durch,  während parallel dazu die lebendige Gemeindebewegung der Täufer hingemordet wurde und die Hetze gegen die Juden einen neuen Höhepunkt erreichte.

Es folgten 500 Jahre Erneuerung und Erstarrung im Wechsel, woraus viele unterschiedliche Kirchen- und Gemeindeorganisationen entstanden. In seiner Gnade ließ Gott das Licht seines Geistes immer wieder neu auf verschiedene geistliche Wahrheiten fallen. Jede erneuerte geistliche Wahrheit führte zur Gründung einer neuen Denomination.  Einzelne Schwerpunkte wurden erneuert, aber der Leib Jesu insgesamt erlebte noch keine ganzheitliche Wiederherstellung.

Renovierung, Revolution oder Reformation?

Eine „Renovierung“ der Gemeinde bringt nicht viel, es wird dabei nur die äußere Fassade verändert, das Wesen, die Struktur bleibt gleich. Viele Gemeinden versuchen durch äußerliche Attraktivität zu glänzen. Ein moderner Gemeindebau, gute Programme und interessante Aktivitäten sollen die Gäste anlocken. Es können dadurch viele neue Christen gesammelt werden, aber echte Jüngerschaft und echte Koinonia- Gemeinschaft kann dadurch nicht erzeugt werden, das kann nur der Heilige Geist bewirken.

Radikale Christen streben nach einer Art Revolution, bei der die bestehenden Machtverhältnisse und Strukturen umgestürzt werden sollen. Das kann  nur durch Gewalt geschehen, weil die bestehenden Autoritäten nicht von alleine gehen werden. Dazu müssen komplett neue Verhältnisse hergestellt werden und nichts ist dann, wie es früher einmal war. Der Mensch bleibt aber derselbe, deshalb werden an die Stelle der gestürzten Autoritäten nur neue menschliche Machtsysteme treten. Die Revolution in Russland stürzte das alte missbräuchliche System und baute dafür ein neues noch schlimmeres Machtsystem auf.

Nein, es muss eine echte Reformation sein, die konform geht mit den Absichten Gottes. Das Wort Gottes spricht mehrfach vom „Aufbau der alten Trümmerstätten“ (Jesaja 61, 4; Apg.15, 16.17) also von einer Restaurierung, Wiederherstellung oder Reformation des Alten. Gottes Wille ist es, dass, das Zerstörte und Brachliegende, dem man keine Beachtung mehr schenkt, wieder erneuert und zurückgebracht wird. Worum es da im Einzelnen geht, will ich im Folgenden beschreiben:

Es gibt einen „Blueprint“ der Gemeinde, der wiederhergestellt werden soll. Unter Blueprint wird das Muster, das Modell oder der Plan verstanden, nach dem ein Werkstück, ein Haus bzw. eine Sache gebaut wird. Zum Beispiel war nach dem Krieg die Frauenkirche nur noch als verwüstete Ruine zu sehen. Dank großer Spendenmittel aus England konnte das Erbe erhalten bleiben und aus den Trümmern der ehemaligen Prachtkirche eine komplett neue Kirche erstehen. Zum Wiederaufbau verwendete man natürlich die alten Pläne, die Muster und das Modell der einstigen Kirche, um sie naturgetreu wieder zu errichten. Auch im früheren Druckgewerbe verwendete man für weitere Drucke von Büchern immer die ersten Printbuchstaben und druckte komplett neu mit der alten und ersten Druckvorlage. Das meint auch die Bibel, wenn sie von Wiederherstellung spricht. Deshalb müssen wir für eine neue Reformation die alten und ersten Vorlagen nehmen. Diese sind:

1.Die Versammlungen „im Tempel und in den Häusern“ (Apg.5,42)

Die wesentlichen Aktivitäten der ersten Gemeinde ereigneten sich im Tempelbereich, in der offenen Säulenhalle Salomons, wo auch die Heiden Zutritt hatten, und in den Häusern der Christen, wo sie sich in Familien trafen. Also in der Öffentlichkeit und im Privatbereich. Diese beiden Bereiche bildeten quasi die Koordinaten der Gemeinde, in zwei Richtungen gehend: Die kleinen Treffen in den Privathäusern dienten der Vertiefung der Beziehung zu Gott und untereinander. In der Intimität der  Familie lebten sie die koinonia, die Gemeinschaft miteinander im Heiligen Geist. Vergleichbar mit dem Stamm des Kreuzes Jesu, der die Verbindung zwischen Himmel und Erde ist, so waren sie verwurzelt und gegründet in der Gemeinschaft zu Gott und zu den Geschwistern des Glaubens.  Während der Querbalken die Mission und Evangelisation der Gemeinde im öffentlich Bereich unter den Heiden symbolisierte, die um die ganze Welt von Osten bis zum Westen gehen sollte.

Zu beachten ist dabei, dass die Treffen in der Öffentlichkeit nicht geeignet waren das Glaubens- und Gemeinschaftsleben der Gemeinde zu stärken. Die eigentliche Vertiefung des Gemeindelebens, also die Qualität des Christseins und die Intensität der Gemeinschaft konnte nur im intimen Rahmen der privaten Häuser erfolgen. Wenn die Gläubigen Zeit damit verbrachten Nichtgläubige zum Glauben zu führen, konnten sie nicht gleichzeitig die Gemeinschaft vertiefen. Das eigentliche Gemeindeleben spielte sich somit in den Privathäusern ab. Die vielen christlichen Häuser von damals, in Jerusalem, in Ephesus, in Korinth und in Rom waren in einem unsichtbaren Netzwerk miteinander verbunden.

2.Die vier Säulen des Hauses Gottes

Über die erste Gemeinde in Jerusalem lesen wir in Apg. 2,42: „Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten.“  Diese vier Aktivitäten gehörten zum Grundmuster der ersten Gemeinde, das bis heute dieselbe Bedeutung hat. Es sind die vier Säulen oder Eckpfeiler, die dem „Haus Gottes“  eine fundamentale Struktur geben, innerhalb der sich das geistliche Leben entwickeln kann. Der Ort, die Räumlichkeit ist dabei nachrangig, es ist der geistliche Rahmen der Gemeinde.

Natürlich konnten die Apostel nicht in jedem Haus beständig  lehren, da die Gemeinde in Jerusalem insgesamt ca. 10000 Personen zählte. Die „Lehre der Apostel“ wurde von den Familienvätern übernommen und getreu an die Hausgenossen weitergeben. Es war ja die Lehre, die von Jesus selbst kam, den viele auch selbst erlebt hatten. Sicher pflegten sie das gemeinsame Essen, wie es in einer jüdischen Familie üblich war – das waren die Momente, wo die Gemeinschaft untereinander und im Heiligen Geist sich am besten entwickeln konnte. Das Brechen des Brotes und die Gebete ließen sich gut in die Gemeinschaft einflechten und bildeten damit ein großartiges Erlebnis, das die Gemeinde zusammenband.

3.Flexibel statt festgemauert.

Jedes Leben, jeder Organismus braucht ein Gefäß, bzw. eine Form oder Struktur, um in dieser Welt aktiv und sichtbar präsent zu sein. Das Wasser des Lebens braucht gute und gereinigte Gefäße und Leitungen, wo es von einem Menschen zum anderen fließen kann. So braucht auch die Gemeinde als lebendiger Organismus eine Form, eine Struktur innerhalb der sich das Leben voll entfalten kann. Die Struktur der Gemeinde Jesu muss flexibel und fluid bleiben, um immer wieder direkt auf die neuen Wege des Heiligen Geist reagieren zu können. Die starren und festgefügten Organisationsstrukturen der institutionellen Kirchen können das nicht. Die Gemeinde als Organismus besteht aus gläubigen Nachfolgern Jesu, die in Beziehung zueinander stehen und dem Auftrag Jesu folgen, hinaus zu gehen und die Menschen zu Jüngern zu machen (Mt.28, 18-20). Für diese Situation und Aufgabe muss sie täglich auf die Leitung des Geistes bedacht sein. Vergleichbar ist das mit dem Bild der Stiftshütte Israels in der Wüste. Sie war beweglich, jederzeit auf- und abbaubar, je nach dem die Feuersäule des Nachts oder die Wolke des Tags zum Aufbruch oder zum Niederlassen Weisung gab.

Beim Apostelkonzil in Jerusalem (ca. 44 n.Chr.)  war die Gemeinde noch keine 15 Jahre alt und stand vor einem neuen Wachstumsschub. Das, was durch den Dienst Jesu in der Genetik der Gemeinde schon bei der Geburt angelegt war, kam jetzt zur Entfaltung: Die Heidenchristen mussten sich nicht beschneiden lassen, weil das Evangelium nicht nur für die Juden war, sondern auch für die Heiden. Eine drohende Erstarrung wurde verhindert. Die erste Erstarrung wurde schon überwunden, als Gott die Verfolgung der Heidenchristen über die Jerusalemer Gemeinde kommen ließ. Die Gläubigen wurden aus ihrer ersten Ruhe aufgeschreckt und mussten Jerusalem verlassen.  Sie wurden in alle Richtungen zerstreut und verkündeten überall  wo sie hinkamen das Evangelium, so wie es Jesus ihnen als Erbe hinterlassen hatte, bevor er in den Himmel auffuhr.

Jakobus fasste damals den positiven Konsens der Beratung mit einem Wort des Propheten Amos  zusammen: „Und hiermit stimmen die Worte der Propheten überein, wie geschrieben steht: „Nach diesem will ich zurückkehren und wieder aufbauen die Hütte Davids, die verfallen ist, und ihre Trümmer will ich wieder bauen und sie wieder aufrichten,  damit die übrigen der Menschen den Herrn suchen und alle Nationen, über die mein Name angerufen ist, spricht der Herr, der dieses tut  was von jeher bekannt ist“. (Apg.15,15-17)

Die Hütte Davids war der Nachfolger der Stiftshütte. David holte die Bundeslade, die als wesentlicher Teil der Stiftshütte die Gegenwart Gottes darstelle, nach Jerusalem. Er  baute ein Zelt darum, das für alle offen zugängig war und in dem Tag und Nacht die Leviten mit Anbetung dienten. Nur am Anfang, bei der Einweihung brachte er ein Brandopfer dar.(1.Chr.15 u.16). Jakobus verglich die Hütte mit der  Struktur der frühen Gemeinde und setzte das fort, was Jesus vermittelt  hatte und mit seinem Opfer startete. Das ist gehört zum ursprünglichen Plan Gottes, das originäre Muster für die Gemeinde, was Jakobus durch den Geist erkannte.

Wenn es um eine neue Reformation geht, müssen wir zu diesem ursprünglichen Plan zurückkehren.

Richard, 7.6.2017   (Abbildung: Prophetisches Bild vom 18.05.2017)